Klatscht bitte jetzt!
Chaotisch, harmonisch und jugendlich kommt er daher, der Poetry Slam. Er lockt ein äußerst lebendiges Publikum an. 1986 in den USA gegründet, findet man ihn mittlerweile in Europa in fast jeder halbwegs größeren Stadt, auch in Erfurt. Aber was steckt hinter dem Erfolg?
Alle Neune: Zum Highslammer IX reisten handverlesene Slam-Poeten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum nach Erfurt und präsentierten einen einmaligen Jubiläums-Slam. Die Aula vom Ratsgymnasium Erfurt war voll, alle Stühle waren belegt und weiter im hinteren Teil des Raumes standen die Menschen. Der Moderator Andreas in der Au, a.k.a. AIDA, sagte charmant „Wir sind über ausverkauft! WOW!“. Es war laut, aber während der Anmoderation verstummten die Gespräche und als der erste Poetry Slammer begann, war das Publikum still. Die nun folgenden Auftritte waren lustig oder nachdenklich oder poetisch. Poetry Slam lässt sich eben nicht so einfach in Schubladen stecken. Wenn man sagt, es sei lediglich ein Wettstreit der Poeten, liegt man falsch, ebenso, wenn man die Auftritte als Comedy oder Kabarett versteht. Im Line-Up befanden sich deutschsprachige Meister und Landesmeister sowie aufsteigende Newcomer der Slam-Szene. Als Stimmungsmacher wurden die Beat Poeten aus Hannover eingeflogen. Zugegeben, ein recht kurioses Duo. Über die Musik kann man wahrhaftig streiten. Kurz vor Mitternacht hatte sich das Publikum für den Slammer Florian Wintels (Bad Bentheim) entschieden.
Die Geschichte des Poetry Slam begann 1986 in Chicago, im Green Mill Jazz Club. Dort organisierte der Dichter Marc Kelly Smith einen Wettstreit, bei dem verschiedene Poeten gegeneinander antreten sollten. Der Uptown Poetry Slam war nicht nur so erfolgreich, dass er weiterhin jeden Sonntagabend stattfindet, die Idee verbreitete sich schnell in den USA und bald auch in Europa, so dass keine zehn Jahre später der Poetry Slam in den europäischen Großstädten angekommen war.
Mittlerweile ist die Szene in Deutschland eine der ausgeprägtesten, die deutschsprachigen Meisterschaften gehören zu den größten in Europa und in mehr als 70 Städten finden regelmäßig Slams statt.
Der Wettkampf ist eigentlich mehr für’s Publikum da
Die Idee des Dichterwettstreites ist gar nicht so neu. Schon im Mittelalter gab es derartige Wettkämpfe. Das wirklich andere beim Poetry Slam ist, dass das Publikum in die Vorträge eingebunden wird. Es kann über die Lautstärke des Beifalles über den Sieger entscheiden.
Die Voraussetzungen dafür, dass man auf die Bühne darf, sind lediglich, dass der Auftritt maximal sieben Minuten dauert, der Beitrag vom Auftretenden selbst verfasst wurde, und dass auf der Bühne keine Hilfsmittel benutzt werden. Das sorgt dafür, dass ein guter Auftritt nicht nur einen guten Text, sondern auch eine interessante Darstellung des Slammers braucht. Zwar gibt es viele, die das nutzen, und regelrechte Performances hinlegen. Aber auch ein gut vorgelesener Beitrag kann das Publikum packen.
Überhaupt, das Publikum, während des Poetry Slams hat es die Macht, über Sieg und Niederlage zu entscheiden.
Es gibt durchaus auch Leute, die Poetry Slams in ihrer unkonformen Weise nicht als Kultur ansehen. Doch ob Großartigkeit oder Gefahr, kaum etwas weckt auf so lebendige Weise Interesse für Sprache und Literatur. Deshalb wird nach der Aufforderung „Klatscht bitte jetzt!“ auch so laut geklatscht. Oder eben nicht.
Meiner Meinung nach sind Poetry-Slams nicht rebellisch und innovativ, sondern durchweg gesellschaftskonform. Es ist toll, wenn den Texten das Leben eingehaucht wird, das ihnen bei traditionellen Lesungen manchmal fehlt. Dabei muss der Gesamteindruck natürlich stimmig sein – Text und Performance sollten zueinander passen. Es scheint, dass sie derzeit die Bedürfnisse eines jüngeren Publikums erfüllen, das sich mit andauernder Ulkkultur wegduckt vor gesellschaftlichen Umbrüchen. Denn Poetry Slam steht für künstlerische Freiheit und Vielfalt!